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Botanik

Sind Pflanzen intelligent?

Goldruten reagieren auf ihre Umgebung und beugen vor

gelb blühende Goldruten
Die Goldrute (Solidago) wird auch Goldraute genannt. © Kinek00 / iStock

„Kluges“ Verhalten: Pflanzen können wahrnehmen, was um sie herum geschieht. Aber macht sie das schon „intelligent“? Biologen haben diese Frage nun anhand der Goldrute näher untersucht. Die Pflanze kann demnach auf verschiedenste Reize ihrer Umgebung reagieren, ihr Verhalten anpassen und sogar vorbeugend aktiv werden. Diese Reaktionen laufen sowohl auf der Ebene der einzelnen Zellen wie auch kollektiv ab. Doch reicht das für die Definition einer „intelligenten Reaktion“?

Der Mensch, einige unserer nahen Verwandten, Delfine, Krähen, Ratten… Unter Tieren gelten einige Arten als besonders intelligent, weil sie ein komplexes Verhalten aufweisen und sich schnell und flexibel an eine neue Situation und Umweltreize anpassen können. Aber ab wann kann man von einer echten Intelligenz sprechen? Diese Frage ist schwerer zu beantworten, als man zunächst glauben mag.

„Es wurden bereits mehr als 70 Definitionen für Intelligenz veröffentlicht und zwischen ihnen herrscht keine Übereinstimmung, nicht einmal innerhalb eines bestimmten Bereichs“, sagt der Ökologe André Kessler von der Cornell University. Entsprechend strittig ist es daher auch, inwiefern pflanzliche Lebewesen „intelligent“ reagieren können.

Was ist Intelligenz?

Viele Definitionen besagen, dass Intelligenz bei Tieren ein zentrales Nervensystem voraussetzt, in dem Informationen in Form von elektrischen Signalen weitergegeben werden. Bei Pflanzen übernehmen diese Funktion deren Gefäßsystem und chemische Signale, so die Annahme einiger Biologen. Sie vermuten, dass auch Pflanzen eine Art Schaltzentrale besitzen, die die Informationen verarbeitet und Reaktionen veranlasst. Andere Biologen gehen davon aus, dass Pflanzen kein „Gehirn“ haben, sondern jede einzelne Zelle in der gesamten Pflanze an der Informationsverarbeitung beteiligt ist.

Doch diese Theorien sind bislang nicht experimentell belegt. Zwar gibt es nachweislich elektrische und chemische Signale auch in Pflanzen und die Venusfliegenfalle kann sogar zählen. Zudem besitzen Pflanzenzellen verschiedene Rezeptoren, um Licht und Pflanzenhormone wahrzunehmen. Aber ob sie deswegen als intelligent bezeichnet werden können, bleibt fraglich. „Die Frage ist, wie wichtig diese Signale für die Fähigkeit einer Pflanze sind, Umweltreize zu verarbeiten“, sagt Kessler. Seiner Definition zufolge müssten Pflanzen auf Umweltreize reagieren und dadurch zielgerichtet Probleme lösen können, um als intelligent gelten zu können.

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Pflanzenverhalten auf dem Prüfstand

Ob das zutrifft, hat Kessler nun zusammen mit seinem Kollegen Michael Mueller am Beispiel der Goldrute (Solidago altissima) untersucht. Dafür griffen sie auf die Ergebnisse früherer Studien zurück. Daraus geht unter anderem hervor, dass Goldruten chemische Substanzen absondern, wenn ihre Blätter von Blattkäferlarven gefressen werden. Diese flüchtigen Chemikalien signalisieren den Schädlingen, dass die Pflanze beschädigt und daher keine gute Futterquelle ist. Zugleich erkennen benachbarte Goldruten das Signal ihres Artgenossen und produzieren vorsorglich ebenfalls solche Abwehrstoffe. Auf diese Weise wehren die Goldruten die Insekten ab und verringern den Schaden durch Fressfeinde.

Aus Vorarbeiten von Kesslers Team geht außerdem hervor, dass Goldruten zusätzlich zu dieser chemischen Abwehr auf eine weitere Strategie zurückgreifen, wenn sie von Insekten angegriffen werden: Sie wachsen schneller. Allerdings tun sie dies nur, wenn sie von weiteren Goldruten umgeben sind. Ohne Artgenossen in der Nachbarschaft bleibt die Wachstumsrate unverändert, die Goldruten produzieren dann jedoch mehr chemische Abwehrstoffe. Ob weitere Goldruten in der Umgebung wachsen, erkennen die Pflanzen dabei anhand von Licht im roten Bereich, das von den Blättern ihrer Nachbarpflanzen reflektiert wird, wie die Biologen berichten.

Pflanzen handeln intelligent …?

Zusammen betrachtet legen diese und ähnliche Ergebnisse nach Ansicht der Forscher nahe, dass Goldruten und andere Pflanzen tatsächlich „klug“ handeln. „Je nachdem, welche Informationen sie aus der Umwelt erhält, ändert die Pflanze ihr Standardverhalten. Das würde zu unserer Definition von Intelligenz passen“, sagt Kessler. Die Pflanzen können demnach Hinweise aus ihrer Umwelt verwenden, um eine bestehende oder zukünftige Situation vorherzusagen und dann darauf reagieren.

Kessler und seine Kollegen vermuten, dass jede einzelne Pflanzenzelle die Chemikalien und Lichtsignale aus ihrer Umgebung wahrnehmen kann. Durch interne Kommunikation über weitere chemische Signale lösen die Zellen dann eine kollektive Reaktion der Pflanze aus und regen deren Wachstum oder Stoffwechsel an, so die Annahme. Auch eine Art Pflanzengedächtnis sei so denkbar.

… KI (noch) nicht?

Diese Sichtweise und Schlussfolgerungen könnten nun die Debatte darüber, was Intelligenz ist, neu entfachen. Dabei könnte auch genauer definiert werden, ob und wann Künstliche Intelligenz (KI) mit tierischer oder pflanzlicher Intelligenz vergleichbar ist. „Nach unserer Definition ist Künstliche Intelligenz nicht intelligent“, so Kessler. Denn KI könne bislang zwar Muster in Informationen erkennen und auswerten, aber nicht mit echtem Verständnis Probleme lösen, um ein Ziel zu erreichen. (Plant Signaling & Behavior, 2024; doi: 10.1080/15592324.2024.2345985)

Quelle: Cornell University

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